Klangbeispiel:
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MVB 133: J. Bornmann: „Sphärenharmonie“ für Sopran und Traversflöte bzw. Querflöte

Das Duett „Sphärenharmonie“ stammt aus dem Jahr 1978 und erscheint 2024 erstmalig im Druck, und zwar sowohl in a-moll für die originale Besetzung Gesang und Traversflöte (in d’) als auch in g-moll für Gesang und Querflöte (in c’). Auch die Einzelstimmen sind für beide Besetzungen beigelegt. Bei der Traversflöte ist dabei an ein tief gestimmtes Instrument (a’ = 415 Hz) gedacht. Das Duett lässt sich auch rein instrumental aufführen, indem die Singstimme mit einer Traversflöte oder einer Voice Flute (in d’) bzw. einer Querflöte oder einer Tenorblockflöte (in c’) gespielt wird.
Sphärenharmonie
Einst träumte mir von einer Blumenaue,
unendlich weit, so weit mein Auge schaute.
Dort lief ich umher, verneigte mich vor jeder,
vor jeder, deren farbiges Angesicht
des Lebens Licht ins Gemüt mir sandte.

Da huben sie an zu sprechen
und sangen in zarten Melodien,
die ganz mir waren vertraut,
doch wusste ich nicht, woher.

So sangen sie immer weiter bis der Abend kam,
und ihr Lied im Dunkel verstummte.
Doch klang es beständig weiter, gewaltiger noch,
denn dasselbe, nun in donnerndem Brausen,
von den Sternen mir wurde gesungen.

Da wachte ich auf und erkannte die Weise,
die einst ich vernommen
im tiefsten Grunde des Herzens:
die Liebe, die die Welt durchwebt.

Davon mir die Blumen sangen,
davon mir die Sterne klangen,
ich fühlte es deutlich: Es lebt auch in mir,
um so erwacht im Einklang zu singen
mit Sternen und Pflanzen, mit Mensch und Tier.
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Vorwort
In vielen Kulturen finden wir die Erschaffung der Welt aus einem Urklang. Die Mythen stellen die Urschwingung, den Urknall, den Urrhythmus, den Urton u. a. an den Anfang ihrer Schöpfungsgeschichten. Sowohl die alten Hochkulturen als auch die heutigen Naturvölker erklären mit erstaunlichen Übereinstimmungen ein quasi musikalisches Weltbild, genauer gesagt die Vorstellung, dass die Welt aus Klängen entstanden sei. So beispielsweise die kalifornischen Urvölker Achomai und Atsugewi, bei denen der Schöpfergott ein Stück Erde, das er in Händen hält, durch sein Singen wachsen lässt. In Java steht am Anfang der Schöpfungsgeschichte ein göttliches Wesen, das sich durch Glockentöne kundgibt. Die islamische Sufi-Tradition spricht von Schwingungen am Schöpfungsbeginn. Die Upanishaden, eine Sammlung philosophischer Schriften des Hinduismus, erklären, dass der Klang die in allen Dingen und Wesen gemeinsame Ursubstanz darstellt. In vielen Aufzeichnungen wird dieser Urklang als „Wort“ bezeichnet, wovon u. a. der Anfang des Johannes-Evangeliums Zeugnis gibt. Am Anfang des chinesischen Weltbildes entsteht durch Verschiebung der kosmischen Prinzipien Yin und Yang der Donner, eine andere Version des Urklanges.

Als Urkraft erkannt, spielt darum die Musik eine wesentliche Rolle bei den Praktiken der Medizinmänner, der Schamanen, in den Exorzismen von Primitiven. Dabei zeigt sich, dass die elementaren Wirkungen von Musik Völker auf naiver Bildungsstufe in weit höherem Grade ergreifen als diejenigen, welche bereits über Musik reflektieren. Mit dem Verlust der außersinnlichen Wahrnehmung geht ein großer Teil des bewussten Aufnehmens aller Kräfte, die auf uns wirken, verloren, obwohl wir dennoch diesen Kräften unterliegen. Neu erarbeitete grundlegende Konzeptionen der modernen Musiktherapie finden ihre Vorläufer in alten Zeiten. So wird schon aus China berichtet, die Musik sei fähig, aufrührerische Herzen zu besänftigen. Überhaupt ist die chinesische Mythologie reich an Legenden, welche die wunderbare Macht der Musik preisen. Hier, wie an vielen anderen Orten, werden Zusammenhänge zwischen Weltbild und Musik dargestellt, wobei die irdische Musik als Abbild der himmlischen, geistigen Musik betrachtet wird, welche auch im Menschen vorhanden ist und als Harmonie der Sphären bezeichnet wird.

Schon der einzelne musikalische Ton offenbart sich durch die Fülle der in ihm mitschwingenden Obertöne als ein in sich gegliederter lebendiger Organismus. Er erweitert sich somit zu einem Tonraum nach bestimmten mathematischen Gesetzmäßigkeiten. Und die Proportionen der Frequenzen unserer Intervalle wie 1:2 (Oktave), d. h. zwei Töne, deren Schwingungen im Verhältnis 1:2 stehen, bilden das Intervall einer Oktave, 2:3 (Quinte), 3:4 (Quarte) usw. wurden nicht für unsere Musik konstruiert. Sie sind naturgegeben, denn sie beruhen auf den Zahlenproportionen der mitschwingenden Obertöne jedes erklingenden natürlichen - also nicht elektronisch erzeugten - Grundtones. Diese Zahlenproportionen sowie die damit verbundenen Intervalle sind daher nicht auf unsere westliche Kultur beschränkt, sondern überall auf der Welt gleich. In manchen Kulturen üben hiervon abweichend gestimmte Instrumente einen ganz besonderen Reiz aus, z. B. im Gamelan-Orchester in Java oder Bali. Ebenso bringen die in Indien verwendeten Mikrointervalle, die sog. „Shrutis“, zusätzliche Spannung mit sich. Beim Singen jedoch hält man sich in Indien oder Indonesien wie überall auf der Welt an das naturgegebene Tonsystem. Da die Obertöne zusätzlich zum Grundton entstehen sind sie ein Naturphänomen, und ihr mathematischer Zusammenhang ist daher ein Naturgesetz. Diese Zahlenverhältnisse, die Proportionen der Intervalle, s. die abgebildete Obertonreihe, dienen uns seit der Antike bis zum heutigen Tag weltweit als Grundlage der Musik.
Als Vermittler des ägyptischen und orientalischen Wissens konnte der griechische Philosoph Pythagoras von Samos (um 570-480 v. Chr.) das Tonerlebnis im Menschen vom mythischen zu einem begrifflichen Bewusstsein überführen. Die Zahlenverhältnisse der verschiedenen Naturreiche der Welt sowie des Firmaments übertrug er als Verhältnisse von Saitenlängen auf das Monochord und wandelte somit diese Verhältnisse in Intervalle, in Erlebnisqualitäten um, wobei die Aufnahme dieser Intervalle im Empfindungsleben der menschlichen Seele die kosmischen Gesetze zugleich auch als psychische Gesetze erweisen lässt.

Damit konnte Pythagoras beweisen, dass die Musik durch ihre Zahlenproportionen, welche sich in den Frequenzverhältnissen ihrer Intervalle spiegeln, ein Abbild sowohl sämtlicher Naturreiche unserer Welt als auch des ganzen Universums sowie der psycho-physischen Disposition des Menschen ist. Und er folgerte hieraus die Sphärenharmonie, das Klingen der ganzen Welt, stellte einen Zusammenhang zwischen Weltbild und Musik dar, und konnte damit die alte Vorstellung der musikalischen Übereinstimmung der Welt mit dem Menschen belegen.
Pythagoras im Tympanon des rechten Portals
der Westfassade der Kathedrale von Chartres
Gleich den Gestirnen des Himmels, so wies er nach, befindet sich auch die menschliche Seele in einer beständigen, nach bestimmten Zahlenwerten geordneten Bewegung. Die Lehre ist also die, bestätigte Marcus Fabius Quintilianus (um 35-96 n. Chr.), dass die Seele eine Art Harmonie von Zahlen sei. Daher erregt sicherlich die musikalische Harmonie, die aus denselben Verhältnissen besteht, auch die wesensgleichen Seelenbewegungen. Wenn aber die menschliche Seele auf die Intervalle der Musik gleichsam abgestimmt ist, so ist es nur zu natürlich, auch der Seele der Welt ein musiktheoretisches Prinzip als Aufbau zu geben. Die erscheinende Welt und die Musik sind als zwei verschiedene Ausdrücke derselben Sache anzusehen.

Tatsächlich ist es ja sehr bemerkenswert, dass die Proportionen unserer Musikintervalle ebenso den verschiedenen Naturreichen Stein, Pflanze, Tier und Mensch zugrunde liegen und diese durchdringen. Diese Proportionsgesetze fungieren als Mittler zwischen Natur und Seele. Da sie die Grundlage der Musik bilden, rücken musische Vorstellungen in das Zentrum des Weltbildes, und zwar als Identität von Gesetzen der Natur mit der Musik. Und damit wird verständlich, warum in der Antike die Musik eine so ungeheure Wertschätzung genoss und man ihr insbesondere in der Erziehung eine geradezu beherrschende Rolle einräumte. Wird doch hier der intellektuelle Bereich, zu dem die akustischen Zahlengesetze gehören, mit dem Gefühlsbereich, in den hinein die Tonphänomene wirken, miteinander verbunden. In diesem Sinne konnte auch Platon in der „Politeia“ (Der Staat) schreiben: Die Erziehung durch die Musik ist darum die vorzüglichste, weil Rhythmus und Harmonie am meisten in das Innere der Seele dringen und sie am stärksten erfassen.
Darstellung von Keplers Modell des Planetensystems
aus „Mysterium Cosmographicum“, Tübingen 1596
Die Lehre des Pythagoras wurde zunächst durch griechische Denker wie Philalos, Xenophanes, Heraklit, Herodot oder Plato weitergegeben. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten übertrugen dann die Philosphen Plutarch (um 45-125 n. Chr.) oder Nikomachos von Gerasa (um 60-120 n. Chr.), später auch der römische Gelehrte Anicius Manlius Severinus Boëthius (480-524), die pythagoreische Lehre ins Bewusstsein des abendländischen Mittelalters. Hier wurde dieses Wissen der Antike zunächst durch die Studien im Bereich „musica“ der „Sieben freien Künste“ (lat. „septem artes liberales“) an den mittelalterlichen Domschulen, wie z. B. in Chartres, in die Neuzeit überbracht und dann von naturwissenschaftlichen Gelehrten bis in unsere Zeit immer wieder neu überprüft und bestätigt. Johannes Kepler (1571-1630) war wohl der erste Wissenschaftler, der sein Lebenswerk in den Dienst der Erforschung einer „Weltenharmonie“ stellte. Seine Hauptschrift „Harmonices Mundi“ (die Weltharmonik) bezeichnet er selbst als das Werk, das von der himmlischen Harmonie handelt, und er kommt in seinem Vorwort zum dritten Buch mit folgenden Worten darauf zurück: „Die Philosophie von Pythagoras verbirgt hinter den mathematischen Begriffen wie hinter einem Vorhang die Einführung in die Mysterien der göttlichen Lehren.“ Anhand seiner Studien zu den Planetenbewegungen konnte Kepler die Sphärenharmonie belegen, nämlich, dass die ganze Welt in ihren Naturreichen Stein, Pflanze, Tier und Mensch mit dem Weltall, dem gesamten Universum, klingt. Er stellte einen Zusammenhang zwischen Weltbild und Musik dar, wobei er die irdische Musik als Abbild der himmlischen, geistigen Musik betrachtete, mit welcher der Schöpfer die Welt, ja das ganze Weltall sowie den Menschen durchdringt.
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